Ein Blick in die Wahlkabine
Am 29. September wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Die Frage, ob sich die antretenden Parteien ein Bedingungsloses Grundeinkommen als Alternative zur Mindestsicherung vorstellen könnten, wurde beinahe einstimmig verneint. Welche Bedenken, Argumente und Menschenbilder führen zu dieser Ablehnung und wie kann auf diese reagiert werden?
Wie immer vor bedeutenden Wahlen in Österreich, sei es nun die Nationalratswahl, EU-Wahl oder auch die ÖH-Wahl, steht allen Unschlüssigen ein wunderbares Tool zur Verfügung, das ihnen abzuschätzen hilft, welches Parteiprogramm den eigenen Überzeugungen am nächsten kommt, die “Wahlkabine”. Dabei werden Antworten der Parteien zu Fragen aus Bereichen wie beispielsweise Bildung, Gesundheit und Soziales oder Migration miteinander verglichen. Jede Partei hat die Möglichkeit, zusätzlich zu einer Ja/Nein- Antwort eine Begründung und eine Gewichtung dieser Frage abzugeben.
Grundeinkommen ist gefragt
Die Frage, ob statt der Mindestsicherung ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden sollte, war im Fragenkatalog der “Wahlkabine”. Diese Tatsache kann als Beleg gesehen werden, dass die Forderung nach einem Grundeinkommen inzwischen eine Wahlentscheidung beeinflussen könnte. Umso überraschender erscheint es da, dass die Begeisterung für diese Idee sich bei den Parteien eher in Grenzen hält, sieben der neun befragten Parteien lehnen dieses Konzept ab, eine hohe Gewichtung bekam sie auch nur von drei Parteien. Bei genauerer Betrachtung der Begründungen fällt einem auf, dass viele ablehnende Haltungen auf Uninformiertheit beruhen. Es bleibt zu hoffen, dass ein Informationsaustausch diese Haltung abschwächen oder vielleicht umkehren könnte. Schauen wir uns die Begründungen doch genauer an:
- “Wir lehnen ein derartiges Konzept ab. Menschen, die arbeitsfähig sind, sollen auch arbeiten gehen. Fakt ist: Unser Wohlstand und unser Sozialsystem beruht auf den arbeitenden Menschen, die zur Finanzierung des Systems beitragen.” (ÖVP)
Ein Grundeinkommen würde die Arbeit nicht abschaffen, sondern im Gegenteil dazu beitragen, dass jeder Mensch an der Stelle zur Gesellschaft und dem System beitragen kann, die ihm sinnvoll erscheint, ohne darauf achten zu müssen, ob diese Arbeit ausreichend bezahlt wird. Unser momentanes Sozialsystem beruht tatsächlich auf der Finanzierung durch die arbeitenden Menschen. Da diese Bevölkerungsgruppe aber die Minderheit in der Bevölkerung darstellt, handelt es sich dabei heute schon um ein unfaires System. Dieses Problem wird sich in Zukunft noch verstärken, wenn diese Gruppe durch den demographischen Wandel und die Digitalisierung noch kleiner geworden ist. Fairer und stabiler wäre ein Steuersystem, bei dem der Konsum besteuert wird und alle Menschen eines Staates zur Finanzierung des Systems beitragen. - “Die SPÖ fordert eine bedarfsorientierte Mindestsicherung, die ein tatsächliches Auffangnetz darstellt und Armutsbekämpfung in den Vordergrund stellt.” (SPÖ)
Eine solche bedarfsorientierte Mindestsicherung existiert in Österreich ja bereits, die Armut wurde damit bisher aber offensichtlich nicht beendet. Ein sicheres Auffangnetz würde dadurch entstehen, dass jeder Mensch automatisch alles Notwendige zum Leben erhält und es nachträglich dort durch eine passende Besteuerung wieder eingesammelt wird, wo Unterstützung überflüssig ist. - “Die FPÖ bekennt sich zur Leistungsgesellschaft. Eine Mindestsicherung sollte immer nur eine Sozialhilfe befristet für besondere Situationen und Zeiträume sein.” (FPÖ)
Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen auf Konsumsteuerbasis würde die “Leistungsgesellschaft” zum ersten Mal wirklich Realität werden können. Während es heutzutage bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung keine Seltenheit ist, dass man durch Aufnahme einer Erwerbsarbeit viele Unterstützungen verliert und damit teilweise schlechter dasteht als mit Sozialhilfe, könnte man im neuen System jeden dazu verdienten Euro behalten, ohne das BGE zu verlieren. - “Die Grünen stehen für eine Grundsicherung, die allen Menschen jene Unterstützung, Beratung und Begleitung sowie existenzielle Absicherung garantiert, die notwendig ist, um persönliche, berufliche oder familiäre Krisen zu überwinden. Ein Grundeinkommen auch für Millionär:innen wollen wir nicht.” (Grüne)
In einem gut durchdachten Steuersystem, welches neben der Konsumsteuer auch angemessene Vermögens- und Erbschaftssteuern enthält, werden Millionär:innen deutlich mehr zahlen, als sie durch das Grundeinkommen erhalten. Im Allgemeinen scheint es auch menschenfreundlicher zu sein, allen genug zum Leben zu geben, auch auf die Gefahr hin, dass einige es bekommen, die es nicht bräuchten, als zu riskieren, dass Menschen durch die Bedarfsprüfung fallen, die Hilfe dringend nötig hätten. - “Stattdessen fordern wir ein (nicht bedingungsloses) liberales Bürgergeld für jeden, der tatsächlich Hilfe braucht. Eine Art „negative Einkommensteuer“ als Ersatz für die Sozialhilfe - mit einer einzigen zuständigen Behörde. Damit der Anreiz einer Arbeitsaufnahme bleibt, gibt es Zuverdienstgrenzen.” (Neos)
Zuverdienstgrenzen führen im aktuellen System in der Regel dazu, dass der Anreiz zur Arbeitsaufnahme gesenkt wird. Kommt man durch die aufgenommene Erwerbsarbeit über die Zuverdienstgrenze, fallen viele Unterstützungen und Ermäßigungen weg, sodass trotz mehr Arbeit am Ende des Monats weniger übrig bleibt. So verharren viele Menschen in der Erwerbslosigkeit, da es sich für sie finanziell nicht auszahlt, etwas dazu zu verdienen. Diese Armutsfalle könnte man mit einer allgemeinen (bedingungslosen) Steuergutschrift abschaffen. - “Wir haben ja nicht mal eine einheitliche, existenzsichernde Mindestsicherung in ganz Österreich – hier sollten wir anfangen.” (Bierpartei)
Warum Energie in ein System stecken, das sich schon als fehlerhaft und ineffizient herausgestellt hat, anstatt etwas Neues zu wagen? -
“Nein, weil aktuell die Bedingungslosigkeit nicht sichergestellt werden kann. Die Mindestsicherung bedarf einer Reform. Einem wirklich bedingungslosen Grundeinkommen stehen wir offen gegenüber, bei finanzierbaren Modellen.” (LMP)
Das Geniale an der Bedingungslosigkeit ist, dass sie nicht sichergestellt werden muss, sondern nur beschlossen. Ähnlich wie beim Klimabonus reicht ein Eintrag im Melderegister und die Angabe einer Kontonummer, um ein BGE auszuzahlen.
Grundeinkommen steht doch noch zur Wahl
Obwohl offensichtlich noch viele Kommunikationslücken zwischen der aktuellen Politik und der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bestehen, gibt es doch auch Grund zur Hoffnung. Zwei Parteien, die zur Nationalratswahl antreten, bekennen sich in der “Wahlkabine” klar zu dem Wunsch nach einem Grundeinkommen: Die KPÖ und die Liste KEINE. Mit ein bisschen Glück und viel Aufklärungsarbeit könnte dieses wichtige Thema also eventuell bald auch im Nationalrat diskutiert werden.