Ist das noch Demokratie?
Die schwierige Suche nach einer Partei, die meine Stimme haben will
Im Herbst 2024 wird der österreichische Nationalrat gewählt und die antretenden Parteien beginnen bereits jetzt, sich dafür thematisch zu positionieren und sich gegebenenfalls programmatisch voneinander abzugrenzen. Neben diversen Strategien zur Massenmobilisierung von fragwürdiger Erfolgsaussicht, wie zum Beispiel der Forderung einer 41-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich, der gerade von Industriellenvereinigung und ÖVP-Ministerin Edtstadler ins politische Rennen geworfen wurde,[1] achten die meisten Parteien durchaus auch darauf, welche Themen bei der Bevölkerung beliebt sind.
Das in dieser Hinsicht vielleicht meistbeachtete Themenfeld ist dabei das Thema „Migration“. Dieses war einer Umfrage zum Jahresbeginn 2024 zufolge nach der Inflation jenes, das am meisten Menschen in Österreich Sorgen bereitete.[2] 60% der österreichischen Bevölkerung war der Meinung, dass die Anzahl an Flüchtlingen und Asylsuchenden nicht bewältigbar sei. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass fast alle Parteien permanent wetteifern, mit knackigen Aussagen und Forderungen bei ihren Wähler:innen zu punkten oder gar neue hinzuzugewinnen.
In einer Umfrage des Standards zum selben Thema war das drittwichtigste Sorgenthema der Österreicher:innen die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich. [3] Der vielleicht prominenteste Lösungsansatz zu diesem Thema ist vermutlich die Einführung einer Vermögenssteuer. Eine Umfrage aus dem Jahr 2023 zu diesem Thema kam zu der Erkenntnis, dass zwei Drittel der Österreicher:innen für die Einführung einer Vermögenssteuer sind, wobei interessanterweise auch Angehörige der „obersten 10%“ diese befürworten. [4] Auch der internationale Währungsfonds (IWF) fordert die Einführung von vergleichbaren Steuern. [5]
Da sollte man doch meinen, dass das ein Thema sein sollte, das von Parteien dankbar aufgegriffen wird. Wie sieht das nun aber in der Realität aus?
ÖVP, FPÖ und NEOS sind traditionell gegen Vermögenssteuern, bleiben von den Parlamentsparteien noch die SPÖ und die Grünen übrig. Die Grünen fordern zwar immer wieder in den Medien vage die Einführung dieser Steuer, auf ihre offizielle Homepage und damit vermutlich auch ins Wahlprogramm hat es das Thema aber dann doch nicht geschafft. [6] Die SPÖ fordert seit kurzem unter Andreas Babler tatsächlich die Einführung von Vermögenssteuern und dieser machte sie sogar zur Koalitionsbedingung – und wurde dafür von gewichtigen Parteikollegen sofort massiv kritisiert. [7]
Von allen Parlamentsparteien kann man also bei keiner sicher davon ausgehen, dass es die Vermögenssteuer in das jeweilige Wahlprogramm schaffen wird. Selbst wenn doch, wird sie wohl eher als Verhandlungsmasse in Koalitionsverhandlungen dienen, als zum zentralen Ankerpunkt der Wahlkampagne zu werden. Dabei reden wir – nochmals erwähnt – von zwei Dritteln aller Wahlberechtigten, die für die Einführung einer Vermögenssteuer sind. Diese überwältigende Mehrheit aller potenziellen Wähler:innen werden in ihrem Anliegen also von keiner einzigen Parlamentspartei glaubwürdig vertreten.
Was hat das nun mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen zu tun? Nun, zunächst ist eine Finanzierung eines solchen ohne eine substanzielle Vermögenssteuer kaum sinnvoll denkbar. Andererseits zeigen nationale und internationale Umfragen zu dem Thema ebenfalls seit Jahren, dass die (knappe) Mehrheit der Bevölkerung einem BGE positiv gegenüber steht [8] und eine Einführung befürworten würde. Auch hier stellt sich dieselbe Frage: Wenn mehr als 50% der Österreicher:innen ein BGE wollen, warum gibt es keine einzige Parlamentspartei, die es im Parteiprogramm hat? Wäre das nicht eine einmalige Gelegenheit, Stimmen bei den Wahlen zu erhalten? Beim Migrationsthema redet man dem Volk ja auch nach dem Mund, wo ist da der Unterschied?
Diese Frage lässt sich natürlich nicht zufriedenstellend in aller Kürze beantworten. Die Vermutung liegt aber nahe, dass das Beharren auf strengerer Migrationspolitik den verantwortlichen Politiker:innen und ihren Kontakten aus „den oberen 10.000“ einfach nichts kostet. Bei Vermögenssteuern oder Erbschaftssteuern sieht das aber natürlich anders aus – hier ist Widerstand von Poltiker:innen selbst, aber auch von mächtigen Gruppierungen wie der Wirtschaftskammer oder der Industriellenvereinigung vorprogrammiert. Auch in den österreichischen Medien ist das Thema wenig präsent, und wenn darüber berichtet wird, dann meistens negativ. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass die Eigentümer:innenstruktur der österreichischen Medienlandschaft es nicht gerade einfach macht, neutral oder gar positiv über diese Steuer zu berichten. [9]
Zusammengefasst kann man also sagen: Es gibt in Österreich Forderungen, die von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung befürwortet, aber dennoch von keiner Parlamentspartei politisch vertreten werden. Wen soll ich als Befürworter einer Vermögenssteuer und eines BGEs denn wählen? Will denn wirklich niemand meine Stimme? Und wenn nein: Ist das denn noch wirklich Demokratie, wenn die Meinung der Mehrheit im Parlament nicht einmal diskutiert wird?
[1] https://www.diepresse.com/18397481/41-stunden-woche-edtstadler-praezisiert-ihre-aeusserung
[4] https://www.momentum-institut.at/news/verteilung-im-fokus
[6] https://gruene.at/themen/budget-und-steuern/
[8] https://viecer.univie.ac.at/corona-blog/corona-blog-beitraege/blog82/, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/994047/umfrage/meinung-zu-einem-bedingungslosen-grundeinkommen-in-deutschland/, https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/mdrfragt/befragungsergebnisse-grundeinkommen-100.html