Streik ich oder streik ich nicht?
Es ist also so weit – die Angestellten der metallverarbeitenden Industrie streiken und die angespannte Situation zwischen Arbeitnehmer*Innen und Arbeitgeber*Innen (nebenbei gesagt durchaus zu hinterfragende Begriffe) eskaliert zunehmend. Auch die Gehaltsverhandlungen im Handel scheinen sich immer weiter zuzuspitzen.
Während die Gewerkschaftsvertreter*Innen vehement fordern, zumindest die rollierende Inflation des Vorjahres auszugleichen, kommt von der Gegenseite das Argument, man könne so viel nicht bezahlen – die wirtschaftliche Situation sei angespannt und die Zukunftsaussichten (wie immer während der Gehaltsverhandlungen) katastrophal. Das Druckmittel der Industrievertreter*Innen wurde kürzlich von Stefan Stolitzka, Präsident der Industriellenvereinigung Steiermark, gut zusammengefasst: „Streiks schaden dem Standort Österreich, hemmen die Investitionsbereitschaft und gefährden damit die Arbeitsplätze der Zukunft“. [1] Kurz zusammengefasst: Wenn weiter gestreikt wird, wandert die Produktion ab und die Gehälter der Beschäftigten steigen nicht nur wenig, sie fallen ganz weg, weil diese arbeitslos werden.
Verliert die Drohung „Arbeitsplatzabbau“ durch das BGE ihren Schrecken?
Man könnte allein zu dieser Aussage nun zahlreiche Artikel schreiben – über die generelle Behauptung, der Industrie gehe es schlecht oder über die Bedeutung angemessener Gehaltsabschlüsse für den Konsum und damit auch den Wirtschaftsstandort. Man könnte auch über die Frage diskutieren, warum bei schlechter Auftragslage die arbeitende Bevölkerung zurückstecken muss, Management und Inhaber*Innen aber fürstlich für ihr „Risiko“ entlohnt werden. In diesem Artikel wird es aber um ein ganz anderes Thema gehen, nämlich um die Frage, wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) die Verhandlungen um bessere Gehälter oder Arbeitsbedingungen erleichtern kann.
Ist ein BGE in ausreichender Höhe – also so hoch, dass alleine damit ein bescheidenes, aber würdiges Leben möglich ist – bereits eingeführt, so kann einem dieses weder vom Staat noch von Firmen wieder weggenommen werden. Das von der Generation Grundeinkommen geforderte umwandelnde Modell, in dem Erwerbseinkommen bei Einführung um die Höhe des BGEs gekürzt und durch das vom Staat ausgezahlte BGE ersetzt werden, verringert die existenzielle Abhängigkeit von Arbeitgeber*Innen massiv, da diese nur noch für einen Teil des eigenen Einkommens verantwortlich sind. Was bedeutet das nun (sehr (!) vereinfacht gesagt) in der Praxis?
Ein konkretes Beispiel: Susanne
Schauen wir uns das Ganze aus Sicht einer österreichischen Durchschnittsverdienerin an, die Single ist, und nennen diese der Einfachheit halber Susanne. Das Median-Nettoeinkommen in Österreich lag zuletzt bei ca. 2000€ pro Monat (inkl. 13. Und 14. Gehalt). Bei einem BGE in Höhe von beispielsweise 1300€ würde das bedeuten, dass Susanne nur noch 700€ durch ihre Erwerbsarbeit bezieht, das wären gerade einmal 35%. Wenn nun Susannes Arbeitgeber bei einer Inflation von knapp 10% lediglich eine Gehaltserhöhung um 6% bietet, so hat Susanne nun mit BGE zwei Möglichkeiten, die im aktuellen System so nicht vorhanden sind.
Sollte sie der Meinung sein, dass ihr Arbeitgeber, für den sie gerne arbeitet, tatsächlich nicht mehr bezahlen kann, kann sie sich leichter auf momentan geringe Gehaltserhöhungen einlassen, da das BGE inflationsangepasst werden soll. Bekommt Susanne aktuell ohne BGE statt 11,6% nur beispielsweise 6% mehr Gehalt, so bedeutet das einen Gehaltsverzicht von ca. 112€ netto pro Monat[2]. Mit inflationsangepasstem BGE würde dieser Gehaltsverzicht jedoch lediglich 39,20€ betragen – ein Betrag, der gegebenenfalls verschmerzbarer wäre. Susanne könnte nun beispielsweise, anstatt auf dem hohen Gehaltsabschluss zu bestehen, andere Forderungen einbringen, wie beispielsweise geringere oder flexiblere Arbeitszeiten, Homeoffice etc., ohne massiv an Kaufkraft zu verlieren. Damit wäre auch dem Unternehmen geholfen.
Optionen dank BGE
Wenn Susanne allerdings der Meinung ist, dass sie bei den Gehaltsverhandlungen über den Tisch gezogen wird, so kann sie beruhigt in den Arbeitskampf eintreten und streiken – oder sie kann etwas tun, was momentan mit einem sehr hohen Risiko behaftet ist, nämlich ernsthaft mit Kündigung drohen. Selbst wenn sie ihren Job verliert – weil sich die Drohung, ins Ausland abzuwandern doch nicht als Bluff entpuppt, oder weil man ihr wirklich nicht entgegenkommt und Susanne daraufhin kündigt – fällt sie damit um gerade einmal 35% ihres Nettoeinkommens um. Beim heutigen Arbeitslosengeld sind es 45% und wenn man selbst kündigt, wird man hierfür auch noch einen Monat lang gesperrt. Außerdem muss Susanne mit BGE nun auch nicht zwingend zum AMS, sie muss keine sinnlosen Schulungen machen und auch nicht jeden Job annehmen, der gerade verfügbar ist. Sie kann mit ihrem BGE so lange in Würde leben, bis sie wieder einen für sie passenden Job gefunden hat, bei dem sie das Gefühl hat, wertgeschätzt und fair behandelt zu werden.
Wie sieht das nun beim Handel mit den dortigen weit verbreiteten Teilzeitverträgen aus? 2021 betrug das Medianeinkommen im Einzelhandel 1797€ Brutto[3], das sind (inkl. 13. Und 14. Monatsgehalt) ca. 1700€ Netto im Monat. Hier beläuft sich der Anteil an Einkommen, das aus Erwerbsarbeit stammt, bei einem BGE in Höhe von 1300€ auf gerade einmal 23,5%. Der finanzielle Schaden bei Arbeitsplatzverlust wird also relativ immer geringer, je niedriger das Einkommen ist – dementsprechend wird auch die Verhandlungsposition stärker.
Zusammengefasst kann man sagen, dass die Einführung eines (umwandelnden) BGEs in ausreichender Höhe die Verhandlungsposition von Arbeitnehmer*Innen gegenüber Arbeitgeber*Innen wesentlich verbessern würde. Dieser Effekt ist umso stärker, je geringer im Moment das Erwerbeinkommen ist und nimmt mit zunehmenden Einkommen immer stärker ab. Die Einführung eines BGEs kann also dazu führen, Arbeitsbedingungen und Gehälter gerade von schlecht bezahlten und behandelten Berufsgruppen signifikant zu steigern.
Quellen:
- https://industriemagazin.at/wirtschaftsnachrichten-oesterreich/wettbewerbsfaehigkeit-und-arbeitsplaetze-nicht-aufs-spiel-setzen/
- Vorausgesetzt natürlich die Gehaltserhöhung kommt netto genauso wie brutto an – Stichwort kalte Progression
- https://ooe.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/verteilungsgerechtigkeit/einkommen/B_2021_AK_RZ_Beiblatt_47_(Einzelhandel_ohne_Handel_mit_Kraft.pdf
- https://fuereinander.jetzt/sites/default/files/Broschuere_BGE-Umsetzen_mit-Studie.pdf