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Schulden machen gegen rechts?

veröffentlicht - 30. Juli 2024
Adam Tooze Portrait mit Schriftzug "Investitionen sind keine Schulden"
geschrieben von Helmo Pape

Was ein staatliches Investitionsprogramm für die Demokratie tun kann und warum die Politik es dennoch nicht angeht. Thesen über ein Kommunikationsproblem.

Vor gut 50 Jahren sagte Hannes Androsch, damals Finanzminister in Österreich in etwa: “Man muss den Menschen eine Perspektive geben, das ist die halbe Wirtschaftspolitik!” um auszudrücken, dass Maßnahmen nicht sofort und überall wirksam werden, aber die Intention und Glaubwürdigkeit der Regierung mindestens ebenso wichtig für die Bevölkerung sind.

Was sagt die Forschung?

Diese These, Deprivationstheorie genannt, besagt, dass die empfundene wirtschaftliche Situation der Wählerinnen und Wähler die politische Richtung stark beeinflussen. Sprich: geht es den Menschen gut, oder haben sie eine gute Perspektive auf wirtschaftliche Besserstellung, wählen sie eher konservative Parteien. Ist der Ausblick schlecht, wählen sie radikalere Positionen. Zuletzt haben die Erfolge der KPÖ und der FPÖ gezeigt, dass radikaler Wandel nach links und nach rechts interpretiert werden kann, wobei linke Kräfte meist die Umverteilung von Reich nach Fleißig fordern und rechte Kräfte Vorteile für die eigene Identität, Staatsbürgerschaft und Tradition gegen andere durchsetzen wollen. 

Gemäß dieser Analyse haben in Österreich große Teile der Bevölkerung eine schlechte Perspektive, weshalb sie immer radikalere Wahl(entscheidungen) treffen. Die wirtschaftlich abgehängte Hälfte der Bevölkerung wählt entweder gar nicht, oder extrem gegen das bestehende System positionierte Parteien, in der Annahme, dass sich dadurch ihre Perspektive zum Positiven verändert.

Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker aus England bringt daher den Rat für bestehende Volksparteien in die Diskussion massive staatliche Investitionen in wenig umstrittene Bereiche wie Energiewende, Gesundheit, sozialen Wohnbau, etc. zu tätigen. Die Aussicht auf gut bezahlte und zukunftsfeste Jobs überall und über viele Jahre würde viel stärker als stabilisierende Perspektive wahrgenommen werden, als die “Staatsschuldenbremse”.

Schulden belasten zukünftige Generationen nicht, 

wenn es Investitionen sind. Was bringt ein sanierter Staatshaushalt, wenn es dafür in die Schulen hineinregnet, die Züge nicht pünktlich ankommen, Brücken einstürzen, jedes fünfte Kind in Armut aufwächst und wir uns viel zu langsam von Kohle, Öl und Gas verabschieden? Die deutsche Satiresendung “die Anstalt” hat diese fehlgeleitete Politik am Beispiel Deutschland sehr unterhaltsam dargestellt.

Es geht aber um mehr, es geht um die Demokratie. Wie Adam Tooze als Historiker deutlich macht war vor dem Faschismus, vor Revolutionen, vor (Bürger)Kriegen meist große wirtschaftliche Not. Die Weltwirtschaftskrise vor hundert Jahren begünstigte den 2. Weltkrieg, dieser danach das Wirtschaftswunder. Es wirkt wie eine Prognose, wenn Historiker über die Entstehungsgeschichte vergangener Krisen sprechen. Dabei könnten Politiker:innen gegensteuern.

Warum die Politik nicht entschlossen handelt

Hier ist ein uns allen bekanntes Dilemma wirksam. Kurzfristiger Kick besiegt langfristiges Ziel. Ein Beispiel: Wir wissen, dass ausgewogene Ernährung, Bewegung, Pausen, Sozialkontakte und viel Natur uns guttun. Wieso sind dann nicht alle Menschen schlank, sportlich, ausgeglichen, kommunikativ und umweltbewusst? Die Süße oder berauschende Versuchung, das Liegenbleiben, der Leistungsfetisch, die virtuellen Welten und viele andere Verführungen “kicken” schneller, besser, billiger als unsere langfristigen Ziele. 

Genau gleich verhält es sich in der “Gesundheit” einer Volkswirtschaft. Langfristig muss zum Beispiel die Automobilbranche den Verbrennungsmotor abwickeln, weil dieser mit den (begrenzten) fossilen Brennstoffen keine Zukunft hat. Doch was folgt daraus: Sollen die Firmen selbst entscheiden, wann sie ihre Produkte umstellen? Soll der Staat bestimmen, was wie herzustellen ist? Intelligente Mischformen? National oder global? Wer fängt an, wie schnell zu gehen? Wer wird verlieren, wer gewinnen? Weil all diese Fragen keine einfachen Antworten haben, wird von der Politik nichts (bzw. viel zu wenig) gemacht, um vom Wähler keine Schuld für unbequeme Entscheidungen zu bekommen. 

Ein Grundeinkommen ist die Lösung

So sind wir in der Angst vor Einkommensverlust und die Parteien in der Angst vor Wahlverlusten in einem “Weiter so!” gefangen! Es ist nicht zukunftsfest, wenn Oppositionsparteien und Regierungsparteien sich hier wechselseitig Blockadehaltung vorwerfen und jede große Veränderung daher langsam und mühsam, also zu spät und zu teuer ist.

Abschließend möchte ich die zwei Widerstände nochmal miteinander verbinden und dadurch auflösen. Wir als Individuen brauchen eine Perspektive für unser wirtschaftliches Wohlbefinden, der Staat braucht Wähler:innen, die langfristig richtiges Handeln unterstützen und wiederwählen. Das ist fast schon die Beweisführung, dass von beiden Seiten Vertrauen gefordert und gebraucht wird. 

Geschätzte Leser:in, schreiben Sie mir bitte an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. ihre Antwort zu meiner Frage: 

Was wäre ein größerer Ausdruck des wechselseitigen Vertrauens, als wenn wir uns ein bedingungsloses Einkommen versprechen würden, damit wir gemeinsam abgesichert die Zukunft gestalten können?

Helmo Pape

Helmo Pape

Obmann
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