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Das BGE im medialen und politischen Diskurs

veröffentlicht - 31. Oktober 2023
Comic einer Podiumsdiskussion vor Publikum. Fünf Diskutierende mit Sprechblasen: Das BGE ist unfinanzierbar! Nein! Doch! Nein! Doch! Nein!
geschrieben von Andreas Lechner

Forscher und Forscherinnen, die sich mit dem BGE beschäftigen, betonen immer wieder dessen positive Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dennoch wird das Thema in der Politik und den Medien teils vernachlässigt, teils sogar missinterpretiert[1]. Warum ist das so?

I. Genesis

Das Grundkonzept der bedingungslosen Basisleistung, in der Einkommen von Arbeit entkoppelt ist, kann bis ins antike Sparta zurückverfolgt werden[2]. Konkrete Formen, die an unseren Lebensstil angepasst sind, kamen allerdings erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts[3], als die größtenteils subsistenzorientierte Gesellschaft sich zu einer Produktionsorientierten wandelte. Bis heute entwickelten sich schrittweise konkretere Modelle eines BGEs, die sowohl von politisch linken[4] als auch rechten[5] Ökonomen und Ökonominnen unterstützt werden. Obwohl beide Seiten des politischen Spektrums die Idee unterstützen, ist sie nicht ideologisch befreit, bei genauerem Blick sind ideologische Einflüsse überall erkennbar.

Übrigens: Eine Faustregel zur Unterscheidung von linken und rechten BGE-Modellen ist üblicherweise der Grad der Entlastung bzw. emanzipatorischen Wirkung für Arbeiter und Arbeiterinnen. Werden diese entlastet und ihre Verhandlungsposition gestärkt, sind das in der Regel Merkmale von einem linken, emanzipatorischen BGE-Modell, ist das Gegenteil der Fall deutet es auf ein rechtes, oder neoliberales BGE-Modell hin. Zusätzlich inkludiert Letzteres oftmals den Abbau des Sozialstaates, zum Beispiel durch den Wegfall von Sozialversicherungsleistungen.

Durch die lange Geschichte und der Zuneigung zum Grundeinkommen in beiden politischen Lagern gibt es eine hohe Anzahl unterschiedlicher Modelle diverser ideologischer Ausrichtungen. Wenn die Politik also davon spricht, dass Transferleistungen, oder die staatliche Gesundheitsvorsorge, gestrichen werden müssten, beziehen sie sich auf ein solches Modell. Dass es auch völlig Andere gibt, scheint oftmals nicht bewusst zu sein. 

Vergleichen wir es mit Büchern, hat der Eine etwa „Harry Potter“ und der Andere „Der Zauberer von Oz“ gelesen. Beide sprechen über das vermeintlich gleiche Thema, Zauberer, aber mit völlig unterschiedlichen Ausgangslagen. Bei Zauberern ist es wohlbekannt, dass es hunderte Bücher über sie gibt, beim BGE ist das leider nicht der Fall. Dadurch entsteht bei Diskussionen oft der Eindruck, jemand hätte nur ein Modell über das BGE – oder eben nur ein Buch über Zauberer – gesehen und baut nun sein gesamtes Meinungsbild darauf auf. Dieser Umstand ist für BGE-Debatten hinderlich, doch ist das erst die Spitze des Eisbergs.

II. Das BGE-Paradoxon

In der österreichischen Politik scheint das BGE nicht beliebt, im Herbst 2022 haben alle Parteien im Nationalrat ein BGE abgelehnt[6]. Auf die teils uninformierten Statements der Mandatare will ich nicht näher eingehen, denn im Endeffekt wissen sie es einfach nicht besser. Wie entwickelt sich das Konsumverhalten? Wie entwickelt sich das Arbeitsverhalten von Jugendlichen, die zum ersten Mal in den Jobmarkt eintreten? Wie entwickeln sich urbane und ländliche Communities? Wir wissen noch wenig über die Auswirkungen eines Grundeinkommens auf eine moderne Gesellschaft, wodurch es momentan keine politisch relevante Option für ein neues Gesellschaftsmodell darstellt.

Jetzt zum Dilemma. Um unseren Wissensstand zu erhöhen, bedürfte es aussagekräftiger BGE-Experimente. Zwar wurde es 1970 beinahe in den USA eingeführt, allerdings scheint die zunehmende Komplexität unserer Wirtschaftssysteme und die Krisen der jüngsten Zeit zu einer Innovationsträgheit in der westlichen Politik geführt zu haben. BGE-Experimente, die mehr Aussagekraft über eine Gesellschaft mit Grundeinkommen liefern würden, bleiben somit auf der Strecke, wodurch die Politik mit unbewiesenen (teils auch einfach falschen) Aussagen ihre Untätigkeit hierzu rechtfertigen kann.

III. Wozu die Mühe?

Es ist nicht so, als würden wir nichts über die Effekte eines BGEs wissen. Studien zu den Feldversuchen geben erfolgversprechende Einsichten in potenzielle Auswirkungen, auch wenn sie aufgrund konzeptioneller Problemstellung nicht vollkommen stringent sind:

  • verringerte Gesundheitsausgaben, da die Menschen weniger zum Arzt gehen
  • weniger Depressionen und Einsamkeit
  • drastische Reduktion von mentalem und finanziellem Stress
  • erhöhte gesellschaftliche Teilhabe und kognitive Leistungsfähigkeit

Gegenargumentationen in Politik und in Medien fokussieren sich oft weder auf die positiven Effekte, noch auf die Wissenslücken, sondern stellen nicht belegbare Behauptungen auf - siehe hier oder Titelbild - wodurch die Diskussion im Keim erstickt wird[7]. Dabei wäre die Diskussion über das Thema für die Initiation aussagekräftigere BGE-Experimente förderlich, um so schlussendlich vorhandene Potenziale für die Gesellschaft nutzbar machen zu können.

Quellenangaben:
  1. Mäkkylä, K. (2021): Media coverage of the Finnish basic income experiment. In: Kangas, O.; Jauhiainen, S.; Simanainen, M. und Ylikännö, M. (Hg.): Experimenting with Unconditional Basic Income. Lessons from the Finnish BI Experiment 2017-2018. Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing, S. 169-186.
    Forget, E. L. (2011): The town with no poverty: the health effects of a Canadian guaranteed annual income field experiment. In: Canadian Public Policy 37, 3, S. 283–305.
    Forget, E. L. (2018): Basic Income for Canadians: The key to a healthier, happier, more secure life for all. Toronto: James Lorimer & Company Ltd.
    Ståhl, C.; MacEachen, E. (2020): Universal basic income as a policy response to COVID-19 and precarious employment: Potential impacts on rehabilitation and return-to-work. In: Journal of Occupational Rehabilitation 31, S. 3-6.
    Widerquist, K. (2018): A Critical Analysis of Basic Income Experiments for Researchers, Policymakers, and Citizens. Basingstoke, UK: Palgrave Macmillan.
  2. Wagner, B. (2009): Das Grundeinkommen in der deutschen Debatte. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 4. https://library.fes.de/pdf-files/wiso/06194.pdf [Zuletzt geprüft am 26.10.2023]
  3. Torry, M. (2021): Basic Income A History. Northampton: Edward Elgar Publishing.
  4. Piketty, T. (Hg.) (2017): For a credible and bold basic income. https://www.lemonde.fr/blog/piketty/2017/02/13/for-a-credible-and-bold-basic-income/, zuletzt geprüft am 26.10.2023.
  5. Friedman, M. (1962): Kapitalismus und Freiheit. Chicago: University of Chicago Press.
  6. Republik Österreich Parlament (Hg.) (2022): Parlamentskorrespondenz Nr. 984 vom 21.09.2022. Nationalrat: Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen stößt auf breite Ablehnung. https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2022/PK0984/index.shtml#, zuletzt geprüft am 26.10.2023.
  7. Kangas, O. (2021): Making of the Finnish basic income experiment. In: Kangas, O.; Jauhiainen, S.; Simanainen, M. und Ylikännö, M. (Hg.): Experimenting with Unconditional Basic Income. Lessons from the Finnish BI Experiment 2017-2018. Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing, S. 27-32.
Andreas Lechner

Andreas Lechner

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